Unser marixwissen-Autor Volker Zotz, Experte für Konfuzianismus und Buddhismus, hat sich unseren Fragen gestellt. Herausgekommen ist ein spannendes Interview zu Asien, asiatischer Philosophie und Religionen.
VR: Herr Prof. Dr. Zotz, Sie reisen regelmäßig aus Forschungsgründen nach Asien und haben viele Jahre in Japan gelebt; bis heute verbringen Sie jedes Jahr mehrere Monate in Indien. Welche Bereicherungen und Inspirationen nehmen Sie von diesen Reisen für Ihre Forschungstätigkeit mit?
Volker Zotz: Weil ich seit fast vier Jahrzehnten immer wieder lange Perioden in Ländern Asiens zu tun habe, erscheinen mir dort auch kurze Aufenthalte gar nicht als Reisen. Ich verstehe mich als ein Bewohner Eurasiens, das ich als einen einzigen bunten Kontinent empfinde. Es ist für mich in der Ost- und der Westrichtung jeweils ein Heimkehren, wobei die Unterschiede im täglichen Leben besonders bereichern. Menschen haben in Europa, Indien und Japan dieselben Probleme, gehen aber sehr unterschiedlich damit um. Überall gibt es die Konfrontation mit dem Tod, aber die Trauer drückt sich ganz anders aus. Überall redet man miteinander, doch was gesagt werden darf oder ungesagt bleiben soll, weicht kulturell stark ab. Bei meinem Pendeln zwischen Ost und West immer wieder zu erleben, wie sogar in gewöhnlichsten Belangen nichts selbstverständlich und allgemein gültig ist, hilft der philosophischen und wissenschaftlichen Arbeit. Dass alles mit gleicher Berechtigung ganz anders sein kann, lässt mich nicht vergessen, wie ungewiss alle scheinbaren Gewissheiten sind.
VR: Sie forschen intensiv zu Buddhismus und Konfuzianismus. Wie präsent sind beide noch im heutigen Asien? Gibt es hierbei einen Unterschied zwischen Buddhismus und Konfuzianismus, den man ja nicht nur als Religion, sondern auch als Philosophie oder Soziallehre interpretieren kann? Und im Besonderen: Wie intensiv wird wiederum der Buddhismus noch in seinem Ursprungsland Indien neben Hinduismus und Islam praktiziert?
Volker Zotz: Auch beim Buddhismus fragt sich, ob eine westlich verstandene Idee von Religion zutrifft, denn wie der Konfuzianismus schließt er anderes nicht aus. Das ist ein im Westen unvertrauter Gedanke. Es lässt sich kaum vorstellen, dass Europäer gleichzeitig dem Christentum und dem Islam folgen, um am Sonntag in der Kirche und am Freitag in der Moschee zu beten. In buddhistisch geprägten Kulturen ist das anders. Zum Beispiel sind Japaner in der Regel buddhistischen Tempeln verbunden, beten aber auch bei Schreinen der Götter des Shintoismus und heiraten oft in christlichen Kirchen, weil der Buddhismus keine rituelle Trauung kannte. Nicht wenige haben also Beziehungen zu mehreren Institutionen, weshalb in der Statistik die Zahl der Angehörigen aller Religionen die der Einwohner Japans weit übersteigt. Auch durch diese Offenheit blieb dem Buddhismus sein Platz in Süd- und Ostasien. In Indien, wo er lange blühte, erlosch er vor einem Jahrtausend. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung bekennt sich heute zu ihm. Buddhisten gehören entweder zu tibetischen Volksgruppen oder zu einer Bewegung, die Bhimrao Ambedkar, der Autor der indischen Staatsverfassung, in den 1950er Jahren anstieß. Er ermunterte so genannte Kastenlose zum Buddhismus zu konvertieren, um nicht länger am unteren Rand der Hindu-Gesellschaft zu stehen. Dies hat besonderen Erfolg im Bundesstaat Maharashtra, wo so viele Hindus übertraten, dass sechs Prozent der Bevölkerung Buddhisten sind. Hier zeigt sich ein neues Potential des Buddhismus in seinem Ursprungsland. Was den Konfuzianismus betrifft, erlebt dieser gerade eine kraftvolle Renaissance in China. Beide Traditionen spielen zweifellos weiterhin bedeutende Rollen in Asien.
VR: Was kann der Europäer vom Buddhismus und Konfuzianismus lernen? Finden beide einen Platz in der heute so schnelllebigen westlichen Welt?
Volker Zotz: Im Osten geht es heute nicht weniger schnelllebig als im Westen zu. Gemessen am Tempo in China und Japan kann Europa geradezu gemütlich wirken. Dem Klischeebild einer asiatischen Kultur der Stille begegnet man in der Realität selten. Aber gerade die Geschwindigkeit unserer Zeit brachte dem Buddhismus auch in Europa viele Freunde. Seine Methoden der Meditation ermöglichen Besinnung und Ruhe in der allgemeinen Hektik. Der Konfuzianismus ist in seiner Bedeutung für Europa bislang noch kaum entdeckt. Dabei kann er im Prozess der Globalisierung hilfreiche Impulse vermitteln, wie man angesichts der rasanten sozialen, kulturellen und technologischen Veränderungen durch eine schöpferische Auseinandersetzung mit traditionellen Werten nicht den Boden unter den Füßen verliert.
VR: Im März erscheint der von Ihnen verfasste marixwissen-Band Der Konfuzianismus. Gibt es in Deutschland Orte von konfuzianischem Geist/des praktizierten Konfuzianismus, die Leser des Bandes unbedingt besuchen sollten?
Volker Zotz: Konfuzius hatte in Deutschland zwar Bewunderer wie den preußischen König Friedrich den Großen. Aber weder einheimische Verehrer noch zugewanderte Chinesen, die in Deutschland eine eher kleine Gruppe sind, bauten dem alten Weisen einen Tempel. Wer eindrucksvolle konfuzianische Stätten besuchen möchte, muss noch nach Ostasien reisen.
VR: Nun noch einige persönliche Fragen: Sie sind vielbeschäftigter Autor und Professor, halten aber auch unzählige Vorträge und beraten zu interkultureller Kommunikation und Ihren Forschungsgebieten. Was macht Ihnen bzgl. der Forschungsvermittlung mehr Spaß: Schreiben, Coachen oder die Lehre?
Volker Zotz: Obwohl ich spontan das Schreiben nennen würde, gibt es in Wahrheit keine eindeutige Präferenz, weil die verschiedenen Tätigkeiten für mich stark zusammenhängen. Sie ergänzen sich und bewahren mich vor Einseitigkeiten. Schreiben ist eine im positiven Sinn einsame Aktivität, bei der ich im meditativen Monolog Formulierungen finde. Den Ausgleich dieser Einsamkeit erfahre ich zum Beispiel beim Lehren, wenn mich die Fragen und Probleme anderer fordern. Die abgeschiedene Konzentration auf Inhalte beim Schreiben erlebe ich als Voraussetzung, um anderen in der persönlichen Vermittlung etwas sagen zu können. Die Anliegen der Menschen, denen ich etwa bei einem Workshop begegne, fördern wiederum das Schreiben, indem ich meinen Horizont durch die Perspektive anderer erweitern darf.
VR: Haben Sie Vorbilder in Bezug auf das Schreiben?
Volker Zotz: Nicht in dem Sinn, dass ich mich bewusst an einen bestimmten Stil anlehne. Als vorbildlich empfinde ich ungeachtet ihrer jeweiligen Einstellung vor allem Schriftsteller, die in mehreren Gattungen Beachtliches schaffen. Zum Beispiel legte der 2014 im hundertsten Lebensjahr verstorbene indische Autor Khushwant Singh ebenso eindrucksvolle Romane und historische Studien wie brillante politische und journalistische Texte vor. Bei solchen Menschen reflektiert das geschriebene Wort die Wirklichkeit in einem denkbar weiten Sinn. Als Dichter fiktiver Stoffe und zugleich Verfasser sachlicher Arbeiten leben sie in vielen Dimensionen der Sprache und damit in einer offenen Welt. Ludwig Wittgenstein schrieb einmal, dass die Grenzen meiner Sprache auch die Grenzen meiner Welt bedeuten.
VR: Was lesen Sie privat?
Volker Zotz: Fachliche und private Lektüre lassen sich für mich kaum trennen. Einerseits können mich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf meine Arbeit bezogene Schriften beschäftigen. Andererseits sind klassische Texte aus Asien, die ich mir aus sachlichem Interesse vornehme, oft ein großer ästhetischer Genuss. Neben Wissenschaftlichem lese ich Texte aller Genres. Große Erlebnisse waren für mich im Lauf der Jahrzehnte so unterschiedliche Bücher wie der Reisebericht »Der Weg der weißen Wolken« von Lama Anagarika Govinda, Franz Werfels Roman »Stern der Ungeborenen« und die lyrischen Werke des französischen Surrealisten André Breton.
VR: Herr Prof. Dr. Zotz, vielen Dank für das Gespräch!