Sympathie und Ökonomie
Es gibt wohl kein Gefühl, das Shakespeare nicht im Übermaß auf die Bühne brächte. Hohe und gemeine, reine und gemischte, große und niederträchtige – Shakespeares Theater präsentiert das ganze Spektrum der Emotionen, Stimmungen und Leidenschaften zwischen Liebe und Zorn, Schmerz und Freude, Eifersucht und Staunen. Aber das sind nie nur die heftigen Gefühle der Figuren, und sie sind nie bloße Gefühle. Shakespeares Theater hat passionierte Zuschauer, weil es auch sie in seine leidenschaftliche Dynamik hineinzieht. Es bewegt unsere Imagination bis heute so stark, weil es mit einer Weisheit in Verbindung steht, deren Wurzeln in die Antike reichen, und weil es auch die Grenzen dieses alten Wissens nochmals in besonderer Weise überschreitet. Es affiziert uns, weil es auch unser Denken in Bewegung bringt. Dabei führt es nicht selten in äußerste Bereiche, die wir anders nicht betreten hätten, und an extreme Punkte, an denen wir ungern oder allzugern verweilen.
Shakespeares Exzess geht diesen Überschreitungen, ihren Höhen- und Sturzflügen, an zahlreichen Dramen und einigen Gedichten Shakespeares beispielhaft nach. Das Buch legt eine Affektpoetik vor, die nachzeichnet, nach welchen impliziten Regeln hier Gefühle inszeniert werden und wie sie wirken. Dabei treten zwei Leitlinien der Shakespeareschen Wirkungsästhetik hervor, deren Aktualität kaum größer sein könnte: Sympathie und Ökonomie.