Ausgesucht feine Texte mit Biss
Georg Christoph Lichtenbergs Sudelbücher sind ein Meilenstein der deutschen Literatur. Wie kein anderer versteht es der aufklärerische Querdenker das vermeintlich Beiläufige und Selbstverständliche in neuem Licht erscheinen zu lassen. In seinen abwechselnd satirisch-originellen und nachdenklich-tiefgründigen Aperçus verbinden sich Charakterporträts von Zeitgenossen und Verstorbenen auf einzigartige Weise mit experimentalphysikalischen Erkenntnissen. Die Fähigkeit, den Kern einer Beobachtung über die sprachliche Verdichtung herauszukristallisieren, lässt Lichtenberg nicht nur zum Begründer des deutschsprachigen Aphorismus werden. Der Göttinger Professor hebt zugleich die mit dem Franzosen Michel de Montaigne ihren Ausgang nehmende Moralistik auf eine bis dahin neue Ebene.
Zweierlei macht den Reiz, aber auch die Schwierigkeit des Aphorismus aus: die ,Ab-grenzung’ eines einzelnen Gedankensplitters von einer unendlichen Fülle an Denkinhalten und die sprachliche ,Be-grenzung’ dieses Gedankens auf den ihm inhärenten Wesenskern. Was Scharfsinn, Witz und stilistisches Raffinement anbelangt, kann sich Georg Christoph Lichtenberg in jeder Hinsicht mit den französischen Meistern dieser Gattung messen lassen. Einzigartig und in ihrer Art beispiellos macht seine Aperçus, dass sie nie aufdringlicher, anklagender oder schwerfälliger Natur sind, vielmehr wie eine im Vorübergehen hingestreute Bemerkung anmuten, deren augenzwinkernd-unverschämte Bildkraft jedoch mitten ins Schwarze trifft.